Weihnachten im Vogelsberg: Armut jetzt besonders schmerzhaft

Auch arme Kinder haben Weihnachtswünsche, auch arme Eltern wollen sie erfüllen. Wer nicht weiter weiß, findet bei zwei Grebenhainer Initiativen Hilfe.

Ute Lipp (l.) von der Generationenhilfe "Bürger für Bürger" und Doris Frank von der "Grebenhainer Kinderhilfe" haben in der Vorweihnachtszeit viel mit Menschen zu tun, für die teure Weihnachtsgeschenke oder ein Fest im Kreis ihrer Lieben alles andere als selbstverständlich sind.

Weihnachten wird bekanntlich gerne als das Fest der Liebe bezeichnet. Und natürlich ist es auch ein Fest der Geschenke. Nicht ohne Grund machen der Einzelhandel und die E-Commerce-Branche in den letzten Wochen vor dem 24. Dezember einen erheblichen Teil (ein Fünftel bis ein Viertel) ihres gesamten Jahresumsatzes. Und trotz Inflation und Energiepreissteigerungen planen die Deutschen laut einer GfK-Umfrage in diesem Jahr, durchschnittlich rund 300 Euro für Weihnachtsgeschenke auszugeben. Doch wie aber erleben diejenigen in unserer Gesellschaft schenken und beschenkt werden, bei denen das Geld nicht so locker sitzt? Immerhin gelten in Deutschland rund 13 Millionen Menschen und damit fast 16 Prozent der Bevölkerung statistisch als arm beziehungsweise als nahe der Armutsgrenze lebend.

Dass es auch bei uns im Vogelsberg gar nicht so wenige Menschen gibt, die am allgemeinen Konsumrausch vor den Feiertagen nicht teilnehmen können oder höchstens dann, wenn sie jeden Cent einzeln umdrehen, ist anders als in der Großstadt auf den ersten Blick nicht so offensichtlich. Schon seit längerem ist bekannt, dass Armut im ländlichen Raum eher versteckt und nach außen hin verborgen, auftritt. Denn dort, wo buchstäblich jeder jeden persönlich kennt und das Zurückziehen in die Anonymität schwierig fällt, ist Einkommensarmut naturgemäß auch mit einem Makel behaftet. Und diejenigen, die sich in unserer Region in sozialen Vereinen engagieren, wissen das nur zu gut.

Beim interkommunal in den Gemeinden Birstein, Freiensteinau, Grebenhain und Herbstein tätigen Verein "Bürger für Bürger" und beim Verein "Grebenhainer Kinderhilfe" spüren die Aktiven gerade in der Weihnachtszeit, das es so manchem Mitbürger finanziell nicht so gut geht. "Wir hatten in dieser Woche unsere letzte Sprechstunde vor Weihnachten. Da waren viele Leute da, mehr denn je. Und ich höre von vielen Müttern, denen wir Unterstützung anbieten, immer wieder: Ohne euch gäbe es für unsere Kinder keine Weihnachten", erzählt Doris Frank, die Vorsitzende der Grebenhainer Kinderhilfe.

Wie eng der finanzielle Spielraum für Kinder aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen ist, zeigt der Weihnachtswunsch eines Jungen, der von der "Grebenhainer Kinderhilfe" erfüllt werden konnte. Ein aus der Sicht der meisten wohl äußerst profanes Geschenk - in diesem Fall aber für die Familie nicht mal einfach eben so machbar. "Der Junge wünschte sich zu Weihnachten einen Haarschnitt beim Friseur", so Doris Frank. "Viele müssen extrem rechnen, gerade weil aktuell auch die Energiekosten so hoch sind. Besonders schlimm trifft es Alleinerziehende und deren Kinder. Manche Wünsche mögen da für uns Normalverdiener nur eine Bagatelle sein, aber für solche Leute ist das finanziell ein Hammer", konstatiert sie.

Teure Schulfahrten

Besonders schmerzlich trifft es Kinder aus armen Familien, wenn Fahrten in der Schule anstehen - ein gerade für das soziale Miteinander wichtiger Aspekt, aber eben auch mit Kosten verbunden. "Aktuell werden in der Vorweihnachtszeit in den Schulen bereits die Klassenfahrten geplant, und da müssen sich die Kinder und Jugendlichen jetzt schon anmelden. Viele haben Angst, dass sie sich die Fahrt nicht leisten können. Das sind immerhin bis zu 400 Euro. Auch dazu haben wir schon Zuschüsse gegeben", berichtet sie.

"Die Scham ist bei ärmeren Menschen in unserer Region schon sehr groß. Da gibt es durchaus so etwas wie eine versteckte Armut, weil man es den Leuten auf den ersten Blick nicht unbedingt ansieht. Da versucht man halt, die Kinder perfekt anzuziehen, damit es in der Öffentlichkeit nicht so auffällt.", sagt Ute Lipp aus Grebenhain, die Vorsitzende des Generationenhilfe-Vereins "Bürger für Bürger". Nach den beiden vorangegangenen Jahren, die durch die Corona-Pandemie geprägt waren, kommt in diesem Jahr noch hinzu, dass das Fest wieder ganz normal gefeiert werden kann und wohl auch einiges "nachgeholt" werden soll. "Ich sehe, dass dieses Jahr viele Leute bewusster einkaufen und versuchen, Weihnachten wieder in der gewohnten Weise abzuhalten. Das gilt dann auch für die Geschenke. Viele Eltern sparen dann auch an sich, damit es ihre Kinder nicht merken, wie knapp sie es eigentlich haben", weiß die frühere Grebenhainer Hausärztin zu berichten.

Speziell für ältere Menschen kann Weihnachten nicht nur eine finanzielle Belastung sein, sondern auch eine emotionale - gerade dann, wenn sie alleinstehend sind und Angehörige weit weg wohnen oder der Kontakt gar abgebrochen ist. Dann macht sich während der Tage des Festes der Nächstenliebe schmerzlich Einsamkeit breit. Denn die Zeiten, wo in den Dörfern des Vogelsberges durchweg drei oder vier Generationen unter einem Dach lebten, sind längst vorbei.

Ein nettes kleines Gespräch in der Weihnachtszeit kann da schon ein Geschenk sein. "Die Leute freuen sich richtig, wenn ich komme und mir Zeit für sie nehme", so Ute Lipp. Über Jahrzehnte gewachsene und aktive Nachbarschaftshilfe könne nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade im Alter ergäbe sich ein erhöhter Hilfebedarf, und da dieser heutzutage nicht immer von Familienmitgliedern oder Freunden und Bekannten geleistet werden könne, ergebe sich auch die Notwendigkeit von Angeboten wie denen von "Bürger für Bürger". Nach der Corona-Pandemie sei man gerade dabei, die entsprechenden geselligen Aktivitäten wieder aufzubauen.

"Die älteren Leute schenken uns zum Beispiel eine Tafel Schokolade, wenn wir vorbeikommen. Auch wenn es für sie eigentlich eine kleine finanzielle Belastung ist. Aber das ist auch ein Ausdruck von Dankbarkeit. Den kann man dann nicht einfach so zurückweisen", kennt Ute Lipp auch die Erfahrung, als Helferin ausgerechnet von denen beschenkt zu werden, die Hilfe nötig haben. Denn für diese Menschen sei das Gefühl, nicht vergessen zu werden, das schönste Weihnachtsgeschenk.